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Trekking auf den Spuren des Apostel Paulus

Unterwegs im türkischen Taurusgebirge

Exotische Landschaft im Atlasgebirge
Exotische Landschaft im Atlasgebirge

 

„Was, wenn da alles nur junge, durchtrainierte Extremsportler rumlaufen? Was, wenn wir immer hinterherlaufen und die ganze Gruppe nur aufhalten?“ Diese Fragen machen uns unsicher, als wir uns auf der Suche nach neuen Herausforderungen mit Touren im türkischen Taurusgebirge beschäftigen. Neugierig machen uns Highlights wie Käse direkt vom Bergbauern und Übernachtungen in aller Abgeschiedenheit. Als ich mich näher mit solchen Trekkingtouren beschäftige, fällt mir ein Angebot auf: der Paulusweg. Mit Einzelheiten der Missionsreise des Apostel bin ich vertraut, und sofort ist mein Interesse geweckt. Wegen der heißen Sommer und strengen Winter wird die Reise nur im Frühjahr und im Herbst angeboten. Wir lesen die Anforderungen an die Teilnehmer noch einmal unvoreingenommen durch, ringen uns durch und melden uns an!

 

Für den Anreisetag ist ein erstes Kennenlernen organisiert worden. Wir erfahren Einzelheiten von der bewegten Vergangenheit unseres Wanderführers Ilker, der uns 10 Tage lang begleiten wird und der  zwischen den Welten Deutschland und Türkei lebt, und alle 13 Teilnehmer stellen sich kurz vor. Wir, meine Frau und ich, sind die einzigen, die zum ersten Mal solch eine geführte Trekkingreise mitmachen. Na, das fängt ja gut an! Es folgen erste Verhaltensregeln, und wir erhalten praktische Tipps wie etwa zum Trinkwasser, also was wir bedenkenlos genießen können und was besser nicht.

Am Morgen der ersten Wanderetappe machen wir bei Sonnenaufgang akustisch Bekanntschaft mit dem Muezzin. Nach dem Frühstück fahren wir mit dem Bus los, der uns die ganze Reise über begleiten wird. Auf der Fahrt zum Startpunkt versorgen wir uns mit Essbarem für die Mittagspause. Der Tagesrucksack wird aufgeschnallt, die Wanderstöcke in die Hände, und los geht’s! Wir nehmen die fremdartige Landschaft in uns auf und realisieren, dass wir allmählich ankommen. Die Esel als typisches Transportmittel hatten wir bereits in Antalya mitten im Straßenverkehr kennengelernt, hier passen die Tiere viel besser ins Geschehen.

Wir saugen die weiten Ausblicke in uns auf, und die Gipfel des Taurus in der Ferne beeindrucken uns und lassen uns etwas ängstlich in Richtung weiterer Wandertage blicken. Uns fällt die Fremdartige Vegetation auf, wie zum Beispiel die Zedern, und das ungewohnt heiße Klima macht uns zu schaffen. So ist jede kurze Rast willkommen, es gibt frisches Obst und Erfrischungsbonbons. Die Häuser hier wirken recht ärmlich, und viele der Hütten sind verfallen. Wir erreichen ein Plateau, und selbst unser Reiseleiter muss hier kurz nach den Markierungen suchen. Aber schon bald wird er fündig, und weiter geht’s, nun auf alten Römerwegen leicht bergab. Hier erblicken wir die ersten Herbstzeitlosen, die uns auf dem weiteren Weg immer wieder begegnen sollen und die wohl recht genügsam sein müssen. Am Wegesrand kriecht eine Landschildkröte, und unmittelbar fühlt sich alles ein wenig exotischer an. Die Gottesanbeterin kurze Zeit später verstärkt diesen Eindruck noch einmal. Die Nadelbäume sehen aus, als hätten sie schon lange keinen Regen mehr gesehen.

Griechisch-römisches Theater bei Selge
Griechisch-römisches Theater bei Selge

 

Wir erreichen so etwas wie Zivilisation: eine historische Stätte, eine Touristenattraktion. Hier zahlt sich aus, dass die Reiseführer in der Türkei eine sehr gute Ausbildung genießen. Wir erhalten eine Einweisung in die Unterschiede der Theaterformen. Man neigt ja dazu, alle in den Topf „Amphitheater“ zu werfen. Aber nur für die vollständigen Ovale passt der Name, und dieses hier ist nur halbrund. Also ein römisches Theater? Nicht ganz: es war ursprünglich griechischer Bauart, will heißen mit mehr als 180 Grad Krümmung, wurde aber später von den Römern umgebaut und ist jetzt als Halbrund erhalten. Demgemäß handelt es sich um ein griechisch-römisches Theater. Wieder etwas dazu gelernt, und wir werden später noch einmal auf dieses Thema zurückkommen. Jetzt werden wir von den Tuch- und Schmuckverkäuferinnen angegriffen, die sich uns Touristen schon längst unter sich aufgeteilt haben und ihre Opfer zielstrebig ansteuern. Mit einer weniger aufdringlichen Taktik könnten sie sicher mehr verkaufen, aber so funktioniert eben hier der Handel. Wir lassen uns nicht überzeugen und klettern auf den Stufen der Zuschauerplätze im Theater herum. Erstaunlich, wie die Bauweise die natürlichen Strukturen der Landschaft geschickt mit einbezieht. Hier endet unsere erste Etappe, wir werden vom Kleinbus abgeholt und zur ersten Unterkunft gefahren. Und die sieht richtig idyllisch aus: eine Reihe Holzhäuschen schart sich um einen kleinen See, ein Wasserfall spielt ein Konzert, und wir erfrischen unsere Füße in dem kühlen Nass. Dann gibt es zum Abend eine körperliche Stärkung direkt am Wasser. Die Hütten bieten uns die Möglichkeit, den Staub abzuduschen, und das nutzen wir gerne.

 

Auch das Frühstück am Folgetag wird gemeinsam eingenommen, den See im Blick, mit dem unvermeidlichen Tee aus dem Samowar. Als Verpflegung für den Tag stecken wir uns Gurken und Tomaten ein, auch etwas Brot gehört dazu, und natürlich wird der Wasservorrat aufgefüllt. Wir machen zunächst einen Stopp an einer alten Römerbrücke und haben Gelegenheit, diese auf einem Foto festzuhalten. Der Bus bringt uns nun wieder in die Nähe des alten Theaters bei Selge, wo wir heute starten werden. Auch die Verkäuferinnen sind schon da und belagern uns in der gleichen Zuordnung wie am Vortag. Wer gestern die Frage nach dem Namen beantwortet hatte, wird heute ganz persönlich mit Namen angesprochen. Das nennt man Kundenbindung! Aber wir halten uns nicht lange auf und nehmen die zweite Etappe in Angriff. Und auf keinen anderen Tag sind wir so ausführlich vorbereitet worden. Es erwartet uns ein steiler, gefährlicher Aufstieg. Ein zweiter, ortsansässiger Führer wurde verpflichtet, und wir werden genau instruiert, wie wir uns verhalten sollen. Mindestens 3 Meter Abstand untereinander, die anderen warnen, wenn wir einen Stein ins Rollen gebracht haben, und immer auf einen sicheren Tritt achten. Wer sich den Aufstieg nicht zutraute, ist im Quartier geblieben und macht sich jetzt einen gemütlichen Tag am Wasser. Aber wir gehen das Wagnis ein und folgen in unseren Bergstiefeln dem heimischen Führer, der sich eigens seine Sonntagsschuhe angezogen hat und damit mehr Respekt vor uns als vor dem Aufstieg zeigt. Es ist anstrengend und fordernd, und wir müssen des Öfteren verschnaufen und den Wasserhaushalt in Ordnung bringen. Bei Alledem bleibt uns Zeit, die Flora zu bestaunen, wie zum Beispiel den Erdbeerbaum, dessen Rinde sich gerade abpellt. Als wir endlich oben angelangt sind, sind wir alle erschöpft, aber glücklich und auch ein bisschen stolz.

Endlich oben - und den Lohn der Anstrengung genießen
Endlich oben - und den Lohn der Anstrengung genießen

 

Nun geht es weiter durch seltsam geformte Felsformationen, Steintürme, die regelrecht eine hohle Gasse bilden. Unser einheimischer Experte zeigt uns, wo seine Eltern leben: ein Haus, ganz abgeschieden gelegen. Alle zwei Monate, sagt er uns, gehen die beiden ins Dorf und holen ihre Rente ab. Ich überlege, wie wohl in einem Notfall die schnelle ärztliche Hilfe kommen mag, und denke dann daran, wie zu Hause mit allen Mitteln das „Leben“ künstlich verlängert wird. Irgendwie hat die andere Lebenseinstellung hier doch vieles für sich! Auf dem Weg durch ein Dorf sehen wir Blechformen auf einem Dach, und darauf scheint sich eine Art Gebäck zu befinden. Auf Nachfrage heißt es, dass hier ein Extrakt für eine lokale Spezialität getrocknet wird, eine Suppe, die wir daraufhin „Dachsuppe“ taufen. Wir erreichen eine Art Imbiss und gönnen unseren strapazierten Knochen ein wenig Ruhe. Wir kommen mit anderen Touristen ins Gespräch. Als sie erfahren, welchen Aufstieg wir hinter uns haben, müssen sie uns „Verrückte“ unbedingt fotografieren, wir werden praktisch zur Touristenattraktion! Nun ja, jedem das Seine, wir lassen uns wieder zur Unterkunft fahren, haben noch etwas Zeit bis zum Dinner und lassen die Seele in den Polstern und die Füße im See baumeln.

 

 

Ein neuer Tag erwartet uns. Als erstes packen wir unsere Habseligkeiten möglichst geordnet in das große Gepäck, denn am Abend werden wir eine andere Unterkunft beziehen. Tagsüber haben wir immer nur den Rucksack dabei, das Reisegepäck bringt der Bus schon an den Bestimmungsort. Heute geht es getreu dem Motto los: “ Warum gehen wir hoch? Damit wir wieder runter gehen können!“ Es geht aber recht moderat bergan. Unterwegs begegnen wir Bäuerinnen mit ihren Ziegen, und die Vegetation bleibt abwechslungsreich. Nachdem wir den Kamm erreichen, geht es durch einen Talabschnitt in Serpentinen wieder herunter. Als wir ein Dorf erreichen, fallen uns am Friedhof die Werbeschriften der Steinmetze auf den Grabsteinen auf. Für uns doch etwas ungewöhnlich, aber Klappern gehört bekanntlich zum Handwerk. An einem Felsen entdecken wir eine schöne, bunte Eidechse, und wenig später fällt uns ein Minarett auf, das hier mit wenig Aufwand aus Stahlrohren errichten wurde und das sich an einem hohen Felsstück abstützt. Exotische Früchte, die uns unbekannt bleiben, wachsen am Wegesrand, und wir gehen einen engen Weg, der ab und zu spektakulär unter Felsbrocken herführt. Zwischendurch müssen wir ein paar Meter herabklettern, doch insgesamt ist die Wegstrecke technisch nicht besonders anspruchsvoll. Pralle, rote Granatäpfel hängen an den Bäumen, und teilweise quillt der Saft regelrecht daraus hervor. Das sieht sehr verlockend aus! Im nächsten Dorf, „Kastaniendorf“ genannt, treffen wir ein paar Einheimische. Der Älteste von ihnen ist 105 Jahre alt, und „immer noch ein Mann“, wie er stolz betont. Wir passieren eine Zisterne, die für die Weidetiere angelegt wurde. Kurz vor Tourende überrascht uns noch ein Regenschauer, doch bevor wir die Regenbekleidung aus dem Rucksack gekramt heben, ist er schon wieder vorbei. Wir erreichen unser heutiges Ziel, einen Dorfplatz, und warten auf Achmed, der uns mit dem Bus zum neuen Quartier bringt. 

Die Häuschen sehen urig aus, alle aus Sandstein, hintereinander wie Reihenhäuser, mit einer Terrasse am Eingang. Dort hängen wir die Jacken zum Trocknen auf und wollen uns frisch machen. Unser Haus besteht aus zwei Räumen: dem Schlafzimmer und einem großzügig wirkendem Bad. Im Duschbecken stehen ein großer Eimer und eine Art Joghurtbecher. Hat wohl jemand vergessen, denken wir zunächst. Aber die Installation ist gewollt und macht Sinn. Denn als wir duschen wollen, tut sich nichts: der Wasserdruck existiert im letzten Haus der Reihe praktisch nicht. Wir holen uns also mit dem Eimer heißes Wasser vom ersten Haus und begießen uns dann mit Hilfe des Bechers. Geht auch! Die Gastgeberin bemüht sich sichtlich, uns zufrieden zu machen. Eine lange Reihe Tische draußen im Freien lässt uns alle Platz finden, und das Buffet ist reichhaltig, lecker und ungewöhnlich. Irgendwie bin ich ganz froh, dass es inzwischen dunkel geworden ist und wir nicht so genau sehen können, was wir da essen. Aber es schmeckt definitiv hervorragend! Nachts krabbelt meiner Frau etwas über den Hals, und als sie danach greift, brennt es auf ihrer Haut. In der fremden Umgebung gelingt es mir leider erst nach geraumer Zeit, den Lichtschalter zu finden, und so werden wir nie herausfinden, was genau für ein Tier das war. Aber wir fallen danach irgendwann wieder in den Schlaf.

Ein herrlicher Morgen erwartet uns. Es ist noch ziemlich frisch, aber die Sonne arbeitet bereits daran, uns das Frühstück draußen angenehm zu machen. Der Tee steht direkt am Blumenbeet, das mit seiner Farbenpracht unbändige Lebensfreude versprüht. Es geht los, und schon am Anfang der heutigen Wanderung können wir die Tortur ahnen, die uns erwartet. Der Berg, auf den wir aufsteigen wollen, wirkt von unten steil und unbezwingbar. Aber andere vor uns haben es geschafft, und bislang haben wir noch jede Herausforderung bewältigt. Also gehen wir mutig heran an die Aufgabe. Der erste Teil ist gar nicht einmal so steil, und es gibt auch etwas Schatten zwischen den Bäumen. Dann wird es schwieriger, mit Kletterstrecken in den Felspassagen. Wir helfen uns gegenseitig weiter, und die eine oder andere Schürfwunde lässt sich nicht vermeiden. Alles halb so schlimm, wir erreichen schließlich ein Hochplateau, und die Landschaft wirkt etwas lieblicher. Hier bietet ein Handwerker seine (wirklich) handgeschnitzten Löffel zum Verkauf an. Unser Wanderführer unterstützt ganz bewusst die Einheimischen, die jede Unterstützung dringend nötig haben, und entsprechend werden vom Veranstalter auch die Unterkünfte ausgewählt. Wir nehmen uns auch ein Stück der Handwerkskunst mit und haben somit gleichzeitig ein besonderes Andenken an unsere Wanderreise.

Grandiose Aussicht vom "Adlerfelsen"
Grandiose Aussicht vom "Adlerfelsen"

 

Und dann wird es richtig spektakulär: wir sind ganz oben und haben einen atemberaubenden Blick hinab in die Schlucht, über der die Greifvögel kreisen. Dieser Anblick wird für immer unvergesslich bleiben! Und wir genießen das Vorrecht, genau mit diesem Panorama ein Picknick zu machen. Endlich reißen wir uns wieder los und erreichen bald ein verfallenes Dorf. Die Feigen sind reif und schmecken himmlisch, so frisch vom Baum. Die Anstrengung beim Aufstieg und die Temperatur haben an meinen Wasservorräten gezehrt, und ein 84jähriger führt uns an eine Quelle, wo wir unsere Vorräte bedenkenlos auffüllen können. Der Mann in Schlappen sagt unserem Wanderführer, dass er auf seine Leute (in Wanderstiefeln) aufpassen soll, der Weg sei gefährlich. Ich erzähle ihm (mit Dolmetscher) von unserer Begeisterung für die grandiose Landschaft, und dass diese von der Freundlichkeit und Gastfreundschaft der Menschen hier noch übertroffen wird. Er sagt: „Allah möge dich segnen“, ein Wunsch, über den ich mich ganz besonders freue. Endlich erreichen wir das Tagesziel, ein Dorf mit ärmlich anmutenden Häusern. Zwei Frauen sitzen auf einer abenteuerlich wirkenden „Terrasse“, und wir sind froh, dass das Ensemble nicht einkracht. Den Abschluss der heutigen Wanderung bildet ein kleiner Imbiss mit Tee an einem idyllischen Platz im Schatten der Bäume. Später am Abend sitzen wir noch lange am Lagerfeuer, tauschen Gedanken aus und lassen den Tag ausklingen.

 

 

Auch der nächste Tag soll uns wieder einiges an Abwechslung bringen. Es sei eine Etappe zum Ausruhen, um Kraft zu sammeln für die Tage danach, heißt es. Zunächst sieht es auch ganz nach einer geruhsamen Wanderung aus. Wir stoßen auf ein Sesamfeld, die abgeernteten Halme sind fein säuberlich zu Bündeln zusammengebunden. Es geht jetzt ohne jede Steigung entlang einem Fluss, der zu dieser Jahreszeit aber kaum Wasser führt. Ein Gecko, eine Ziegenherde und einige verblichene Knochen sorgen für etwas Abwechslung. Die Hirten haben eine einfache Kochstelle für ihren Tee geschaffen, der Kessel mittendrin ist tiefschwarz. Dann führt uns der Weg an die Felsen heran, und wir müssen klettern.  Herauf und über scharfkantige Stellen wieder herab. Am Fluss finden wir einen riesigen Baum mit weit ausladenden Ästen, auf die man sogar hochklettern kann. Wir machen Rast in der sicheren Erwartung, den schwierigsten Teil hinter uns zu haben. Aber das dicke Ende soll noch kommen! Es geht wieder hoch, der Weg ist teils ausgesetzt und die Route schwer zu finden. Und wo sich der Fluss den Weg durch die Schlucht gefressen hat, müssen wir hoch auf den Pass klettern. Trotz der Mühsal haben wir noch Sinn für den schönen Olivenhain, den wir durchqueren, und genießen, oben angekommen, den phantastischen Blick zurück auf das, was wir gerade geschafft haben! Nun sollte eigentlich keine weitere Herausforderung mehr auf uns warten. Abermals weit gefehlt! Unser Guide erwartet am Fluss eine Brücke, die uns den Weg zum Dorf frei macht. Aber diese Brücke existiert nicht, und wir ziehen Schuhe und Strümpfe aus und waten durch das Wasser. Eigentlich keine allzu große Herausforderung und angenehm kühl, sind aber die Steine auf dem Grund ungemein glitschig, und nur mit Mühe und Hilfe der Wanderstöcke behalte ich das Gleichgewicht und bringe die Kamera unbeschadet ans andere Ufer. Im Dorf sehen wir eine Frau, die auf dem Dach ihres Hauses den Samen des Sesams von der Spreu trennt. Andere Länder, andere Sitten!

 

Am nächsten Tag stehe ich früh auf, um die Morgenstimmung einzufangen und mich auf den Tag einzustimmen. Die Sonne geht auf und lässt die Szenerie in einem wundervollen Licht erscheinen. Wie sind voller Tatendrang und gespannt, was uns heute erwartet! Als kleine Überraschung hat unser Guide am Startpunkt eine kleine Teepause organisiert, und hellwach machen wir uns auf den Weg. Am Ausgang des Dorfes erblickt uns eine ältere Frau, die ihren Goldschmuck von ihrer Heirat noch um den Hals trägt. Sie macht einen sehr unzufriedenen Eindruck, und ihr lautes Gezeter verfolgt uns noch eine ganze Weile. Aber das trübt unsere Stimmung nicht. Wir ziehen weiter durch eine beeindruckende Landschaft. Die Felsen erinnern an Faltenröcke, und an jedem Schwenk unseres Weges bieten sich neue Ausblicke. Auf behauenen Steinblöcken finden wir das fremdartige Symbol einer alten Kultur: drei Beine scheinen im Kreis zu laufen. Wir erfahren, dass dieses Symbol von den Pisiden stammt, die früher hier gelebt haben und dem Landstrich den Namen „Pisidien“ gegeben haben. Dann schlägt plötzlich ein Wachhund an. Wir sind unsicher, ob wir uns gefahrlos nähern können. Unser Tourguide fragt nach, und wir besuchen die freundliche Hirtin, die jeden Morgen aus dem Dorf hierhin geht und sich um die Herde kümmert. Nacige heißt sie, und sie lädt uns zu einem Tee ein. Und tatsächlich kommt sie wenig später mit einem Tablett mit 14 Gläsern! Wir sind überwältigt von der Gastfreundschaft. Unser Wanderführer muss sie förmlich bedrängen, dafür ein wenig Geld anzunehmen, und sie sagt immer wieder nur: „Ich schäme mich.“ Und hier stelle ich die Fachkompetenz unseres Reiseleiters auf die Probe, ich kann nicht anders. Ich zeige auf das Vieh, also die Pferde, die Esel und die Ziegen, und frage ihn: „Wenn sich hier, direkt am Vieh, ein antikes Theater befände, dann wäre es doch unabhängig von der Form ein Am-Vieh-Theater, oder?“ Er nimmt es mir nicht übel und beweist damit Sinn für meinen schrägen Humor. Wir dürfen an dieser Stelle sogar unser Mittagsmahl einnehmen, und so gestärkt machen wir uns wieder auf. Immer wieder gibt es etwas Interessantes zu sehen, so zum Beispiel eine Tränke in Herzform für die Tiere und bizarre Felsformationen. Dann erwischt uns gegen Ende der Etappe ein Regenguss, der nicht aufhören will, und wir stapfen etwas unwillig in unserer Regenbekleidung weiter. Heute beziehen wir ein neues Quartier, die St. Pauls Pension, und sind sofort froh, dass wir hier nur einmal übernachten, alles ist doch sehr heruntergekommen. Ich will mich nicht in Einzelheiten verlieren und erwähne positiv das aufwändige Abendprogramm mit Livemusik vom Hausherrn und einem umfangreichen Abendessen an den niedrigen Tischen, um die wir uns einigermaßen unbequem hinlegen. Unter anderem gibt es unsere beliebte „Dachsuppe“. Alles wird traditionell auf offenem Feuer zubereitet. Die Zimmer und die Betten sind dann der Tiefpunkt der gesamten Reise. Aber Schwann drüber, wir sehen nach vorne und freuen uns auf das, was noch kommt! 

 

Die Regenwolken hängen noch in den Bergen
Die Regenwolken hängen noch in den Bergen

Nachdem es die ganze Nacht durchgeregnet hat, sind wir morgens froh, dass es zumindest erst einmal trocken ist, auch wenn die Wolken tief in den Bergen hängen. Wir gehen ganz optimistisch los, und es geht immer höher ins Taurusgebirge hinein. Dann kommen wir an die Ruinen einer ehemaligen christlichen Kirche. An dieser Stelle wird uns die Bedeutung dieses Landes im neuen Testament der Bibel so richtig bewusst. Wie viele der Einheimischen hat Paulus damals in dieser Gegend zum christlichen Glauben gebracht, und das trotz seiner eigenen Vergangenheit als arger Christenverfolger, als er noch Saulus hieß! Aber die Kirche hier hat keine Funktion mehr. Beeindruckend nur, dass die Bauweise schon damals so solide war, dass die Fensterbögen noch immer erhalten sind. Es hat wieder angefangen zu regnen, und wir ziehen die Kapuzen tief ins Gesicht. Eine Schafherde begegnet uns im Gänsemarsch, und auch wir wandern einer hinter dem anderen weiter. Das ist eben die Eigenart einer geführten Trekkingreise: das Programm ist im Voraus festgelegt, und wir müssen unser Pensum schaffen, egal was Wetter oder Motivation dazu sagen. Wir erreichen nun eine Stelle, an der der ganze Weg abgerutscht ist. Das Gelände ist matschig und rutschig. Ein Teil der Gruppe wagt den Übergang an der weggebrochenen Stelle, der Rest steigt hoch in die Böschung und nimmt so das Hindernis. Letztendlich kommt aber keiner zu Schaden, weil auch alle vorsichtig und verantwortungsbewusst sind.

 

Wir erreichen Adada, eine ehemalige römische Stadt. Hier wird deutlich, wie reich die Türkei an solchen geschichtlich bedeutenden Stätten ist, denn man hat einfach nicht genug Geld, jede dieser Attraktionen für den Tourismus anziehend zu gestalten. So liegen die Ruinen ziemlich ungeordnet in der Gegend herum. Anhand der Übersichtsgrafiken können wir uns aber orientieren und den Gebäuden die richtige Bedeutung zuordnen. So gibt es Reste mehrerer Tempel, ein Theater, eine Basilika und das Forum. Wer will, kann die alte Römerstraße unter die Wanderschuhe nehmen, für die anderen (und so auch für mich) wartet der Bus am anderen Ende des Umwegs. Bei dem Wetter macht die Erkundung nicht so viel Spaß, und den Anfang der alten römischen Route haben wir ja gründlich untersucht. Das Auto bringt uns zu der Pension, in der wir die nächsten Nächte verbringen werden, und wir haben zunächst ein mulmiges Gefühl, was uns in der 2-Sterne-Pension erwartet. Umso größer ist die Begeisterung, als wir da sind: das Zimmer ist rustikal, aber sehr schön und mit allem ausgestattet, was unseren Aufenthalt angenehm macht. Wir wollen uns nach den letzten Kilometern in der kühlen Witterung aufwärmen und würden gerne einen Kakao mit einem Schuss Whiskey trinken. Das scheitert zunächst daran, dass es hier keinen Whiskey gibt. Aber der aufmerksame Wirt organisiert irgendwoher eine Flasche, und wir bekommen unsere Belohnung. Das animiert auch noch andere, und schließlich genießt die halbe Wandergruppe diese innere Aufwärmung. Die Pension liegt direkt am Egirdir-See, durch die großen Panoramafenster können wir die schöne Abendstimmung genießen.

 

Fischer flicken ihr Netz am Egirdir-See
Fischer flicken ihr Netz am Egirdir-See

 

Es folgt ein „stiefelfreier Tag“, will heißen wir haben einen Tag für uns. Manche besuchen ein türkisches Bad, einen sogenannten Hammam. Wir spazieren durch den Ort Egirdir. Zunächst will ich mich mit Bargeld versorgen. Dummerweise habe ich mein Konto aus Sicherheitsgründen für Auslandsabhebungen gesperrt und werde nun selbst ein Opfer dieser Maßnahme. Aber mit Hilfe der Kreditkarte und der englischsprachigen Mitarbeiter der Bank komme ich doch noch zu Geld und kann den Rest unserer Reise entspannt angehen. Wie erkunden die nähere Umgebung zu Fuß und schlendern am See entlang. Überall hier trifft Tradition auf Moderne, ganz anders als in den entlegenen Gegenden, durch die wir bisher gekommen sind und wo alles noch sehr authentisch war. Wir verbringen einen schönen und gemütlichen Tag am See und kosten die örtlichen Spezialitäten der türkischen Küche. Abends bringt unser Wanderführer dann auf einer Darbuka, einem typischen Instrument dieser Gegend, ein paar heimische Klänge zum Besten.   

 

Wir wandern durch eine regelrechte Mondlandschaft
Wir wandern durch eine regelrechte Mondlandschaft

 

Der Start der nächsten Tagesetappe führt durch ein trockenes, karges Gebiet mit vielen Disteln. Ganze Felder füllt das dornige Gestrüpp, und wir sind froh, dass es bald wieder durch einen Wald geht. Es gibt freie Flächen, auf denen Rinder weiden. Leider erfüllt sich die Hoffnung unseres Führers heute nicht, hier Wildpferde zu Gesicht zu bekommen, die er an dieser Stelle schon einmal gesehen hat. Obwohl wir extra leise sind, bekommen wir heute keins der scheuen Tiere zu sehen. Später wird die Vegetation noch dürrer, und der Boden  sieht tief rotbraun aus. Man erhält eine Ahnung von einem Flussbett, doch alles ist trocken. Die ockerfarbene Erde hat eigenartige Muster geworfen, und die Hochebene versetzt uns in eine ganz besondere Stimmung. Wir treffen einen Landwirt, der hier lebt, und innerhalb weniger Minuten kennt unser Tourführer die ganze Lebensgeschichte des Mannes, einschließlich der Details von seinem Sohn und seiner Schwiegertochter. Für uns geht das Leben weiter mit einer „Steinrutsche“, durch die wir vorsichtig hinab steigen. Am Ende erreichen wir ein Gebiet mit offensichtlich sehr fruchtbarem Boden. Noch nie haben wir LKW mit so vielen Äpfeln gesehen. Hier fahren die Autofahrer sehr offensiv, und auch unser Fahrer lässt sich davon anstecken. Nachdem wir eine brenzlige Situation überstanden haben, wird er zurechtgewiesen und fährt fortan wieder sicher. Wir machen zum Abschluss des Tages noch einen Besuch im Kovada-Nationalpark, einer sehr schönen Landschaft, einem Rückzugsgebiet für einige bedrohte Tierarten, ideal, um sich wieder zu sammeln und um ein wenig Ruhe zu finden.

 

Die Aussicht vom Gipfel des Sivri auf den Egirdir-See ist atemberaubend
Die Aussicht vom Gipfel des Sivri auf den Egirdir-See ist atemberaubend

 

Unser letzter Wandertag ist angebrochen. Es soll noch einmal ein echtes Highlight geben: wir wollen einen Aussichtsberg besteigen, den Sivri. Dazu begleitet uns der freundliche Wirt unserer Pension, der sich als Wanderführer ein paar Scheine dazu verdient. Es geht andauernd im Zickzack steil bergauf, aber wir sind ja inzwischen richtig im Rhythmus und fühlen uns keineswegs überfordert. Der Aufstieg währt auch nicht sehr lange, und die Belohnung entschädigt für jede Mühe. Die Rundumsicht ist sensationell! Wir können den ganzen See überblicken und sehen deutlich die Halbinsel, auf der sich das Städtchen Egirdir befindet. Der Abstieg stellt keine Herausforderung dar. Auf halber Höhe kommen wir zu einem Restaurant mit schöner Aussicht und bestellen uns ein gefülltes Fladenbrot. Um zu prüfen, ob meine Portion auch die bestellte Füllung hat, hebt die Bedienung die Ecke mal eben mit den Fingern an. Das ist aber so natürlich, dass es einen nicht wirklich stören kann. Wir statten dem allgemeinen Backhaus des Dorfes noch einen kurzen Besuch ab und sehen bei der Herstellung von Spezialitäten zu. Dann geht es auch schon wieder zurück nach Antalya, dem Startpunkt unserer Reise. Morgen werden wir den Rückflug antreten

 

Im archäologischen Museum finden wir Exponate aus dem alten Perge
Im archäologischen Museum finden wir Exponate aus dem alten Perge

 

 

In Antalya bleibt uns noch reichlich Zeit, unser Rückflug startet nämlich erst am Abend. Wir besuchen auf Empfehlung unseres Reiseführers das archäologische Museum, das viele Exponate des alten Perge ausstellt. So bekommen wir einen guten Eindruck von der früheren Hafenstadt, in der der Apostel Paulus vor fast 2000 Jahren auf seiner Missionsreise, von Zypern kommend, an Land ging. Dann wollen wir uns noch die Altstadt Antalyas ansehen, was schon eine sehr ernüchternde Erfahrung wird. Im Basar wird man ununterbrochen angesprochen, und unten am Hafen hat man nur die Wahl zwischen Pest und Cholera, das heißt zu nah am Wasser will man uns auf die kitschigen Ausflugsschiffe locken, zu weit zur anderen Seite ziehen einen die Animateure förmlich in die Restaurants! Wie fliehen vor dem Trubel und finden weiter draußen ein Restaurant mit toller Aussicht auf das Meer. Hier werden wir freundlich bedient, das Essen ist gut und reichlich, und wir haben einen schönen Abschluss unserer Reise.  

 

 

Und wie lautet nun unser Fazit? Trotz grandioser Landschaften und vieler archäologischer Kostbarkeiten: am meisten beeindruckt haben uns die einfachen, gastfreundlichen Menschen im Taurusgebirge. Ein insgesamt besonderes und gelungenes Erlebnis, und auch für die Gesundheit haben wir mit viel Bewegung und gesundem Essen etwas getan!